Der SPIEGEL, Nr. 26/1987 „Ein gnadenloses Zuviel an Therapie“


Spiegel-Serie über Krebsbehandlung in der Bundesrepublik, Teil 1: Zweifel an den chemischen Waffen. Auszüge:


Der erhoffte Durchbruch gegen das Zelleiden ist ausgeblieben. ... Die Fortschritte der Krebstherapeuten in den letzten drei Jahrzehnten, so befand ein im März veröffentlichter, vom US-Kongreß in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht, seien minimal gewesen. ... „Die Verbesserungen waren geringfügig oder wurden durch die offiziellen Statistiken in einem zu günstigen Licht dargestellt.“
... Doch ramponiert hat den Ruf der Krebsmedizin in den letzten Jahren hauptsächlich das sogenannte dritte Bein der Onkologie: die Chemotherapie.... Die medikamentöse Waffe gegen den Krebs unterscheidet nicht zwischen entarteten Tumor- und gesunden Wirtszellen. Patienten erleben die Therapie oft als die Vorstufe zur Hölle....Jeder zehnte Patient stirbt laut Onkologe Huhn in den ersten Wochen an den Nebenwirkungen der chemischen Behandlung. ...Am Anfang der Chemotherapie-Ära, in den 50er und 60er Jahren, war das Mißtrauen gegen die Medikamente groß. Das hat sich gründlich geändert. Einige der wirksamsten Zellgifte sind erst in den letzten zehn Jahren in die Hände der Mediziner gefallen. Durch das aggressive Marketing der Pharma-Industrie und nach spektakulären Erfolgen der Zellgift-Therapie bei einigen wenigen Krebsarten sind die Hemmschwellen nun allenhalben bedrohlich gesunken....Die Chemotherapie hat, wie der Züricher Onkologe Martz warnt, „wohl mehr als die Behandlung anderer Krankheiten zur Zeit einen noch weitgehend experimentellen Charakter.“

„Wir haben“ so der Gautinger Chefarzt und Privatdozent Dr. Ulrich Dold „im Eifer, den Krebs überall totzuschlagen, übersehen, daß die Patienten oft mehr unter der Therapie als unter dem Krebs leiden.“